Die klare Antwort sei vorweggenommen:
Nein, Ergebnisse aus mehr als einem Messwert sollten mit mindestens 2 Stellen
mehr angegeben werden als die Größenordnung ihrer Standardabweichung.
Womöglich überrascht diese Antwort nicht wenig. Vielleicht wären Sie mit einer(!) zusätzlichen Stelle noch einverstanden, aber gleich zwei?
Der Artikel nennt in einfachen Beispielen, natürlich untermauert durch grundlegendere Überlegungen, weshalb besonders im Hinblick auf Normforderungen zur Angabe der Messunsicherheit auch unsichere Stellen dokumentiert werden sollten.
Die Form, in der Analysenergebnisse als Teil des gesamten Analyseprozesses zu dokumentieren sind, wird in Verfahrensanweisungen auch unter Festlegen der anzugebenden Zahl signifikanter Stellen beschrieben.
Die Beispiele nennen Mittelwert und Standardabweichung als Kennwerte von Richtigkeit und Präzision, obwohl natürlich auch andere Kenndaten bis hin zu Nachweisgrenzen oder Fähigkeitskennzahlen in vergleichbarer Weise betroffen sind.
Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass jedes Analysenergebnis als Teil einer
Prozesskette letztendlich ein Zwischenergebnis darstellt und zu irgendeinem
Zeitpunkt sicher zu weiteren Berechnungen herangezogen wird.
Eine häufig in SOPs (standard operating procedures) anzutreffende Regelung ist, Ergebnisse nie genauer anzugeben als Messwerte erhalten werden. Der Kennwert wird gerundet wie im Beispiel einer arbeitstäglichen Doppelbestimmungen eines Standards in Tabelle 1.
Tabelle 1:
1. Tag | 2. Tag | |
1. Messwert : | 10 | 10 |
2. Messwert : | 11 | 10 |
Mittelwert : | 10,5 | 10 |
gerundeter Mittelwert : | 11 | 10 |
Einem Kunden oder nach Archivieren der Rohdaten liegen nur die gerundeten Mittelwerte vor, die nach dem genannten Verfahren aus 10,5 [arb.] gerundete 11 [arb.] ergeben. Beim genauen Hinsehen trifft der erhaltene Mittelwert nur 25% seiner Messwerte und ist somit zumindest zweifelhaft. Im Beispiel wäre ein Mittelwert von 10,25[arb.] korrekt.
Der betrachtete Ausschnitt einer Messwertfolge, wie sie in der Praxis ohne weiteres anzutreffen ist, zeigt am 2. Tag eine Messung ohne Streuung. Es kann keine Unsicherheit angegeben werden. Die Standardabweichung von 0 [arb.] bedeutet nicht etwa eine besonders präzise Messung, sondern eben keine Angabe zur Präzision. Um im Prüfbericht einer validierten Methode die geforderte aktuelle Angabe zur Unsicherheit aufzunehmen, muss eine leistungsfähigere und genauere Methode gewählt oder die Anzahl der Messungen erhöht werden.
Mit einer n-fach Wiederholmessung wird die Unsicherheit der berichteten
Mittelwerte um den Faktor 1/Wurzel[n] geringer, die Aussage im Prüfbericht
damit präziser. Dieses Verhalten der Mittelwerte ist sicher geläufig
und nichts Neues. Zur Validierung übliche 6, 10 und selbst unter
Umständen geforderte 20 Wiederholmessungen, erhöhen die
Präzision entsprechend um Faktoren 2,45 oder 3,16 bzw. um 4,47. Doch
selbst bei 5fach verbesserter Unsicherheit, so der Einwand, kann doch die
Angabe der ersten Nachkommastelle ausreichen, weil ja erst ein Faktor 10 die
Größenordnung wechselt. Dazu unser zweites Beispiel.
Moderat auf 3 Wiederholmessungen erhöhter Aufwand soll der Forderung nach präziserer Messung gerecht zu werden. Ob Regelkarte, Ringversuch oder Stabilitätsprüfung, die Kennwerte als Momentaufnahme sind spätestens zur nächsten Review Zwischenergebnisse.
Orientiert an der Größenordnung der Streuung, sind Mittelwert und Standardabweichung in Tabelle 2 für 10 Serien einer 3fach-Bestimmung mit nur einer(!) zusätzlichen Stelle dokumentiert. Die Messwerte wurden natürlich weiterhin ohne Kommastelle erhalten.
Das Gesamtmittel der vorausgehenden 10 Serien war 10,5[arb.] mit einer gesicherten Wiederholstandardabweichung von 1,0[arb.].
Tabelle 2: Mittelwerte mit Messunsicherheit in der Routine
Nr. der Serie | 1. | 2. | 3. | 4. | 5. | 6. | 7. | 8. | 9. | 10. |
1. Messwert | 10 | 10 | 11 | 10 | 10 | 9 | 10 | 11 | 11 | 11 |
2. Messwert | 9 | 10 | 10 | 9 | 10 | 9 | 9 | 12 | 13 | 10 |
2. Messwert | 11 | 10 | 12 | 11 | 10 | 9 | 9 | 11 | 11 | 11 |
Mittelwert: | 10,0 | 10,0 | 11,0 | 10,0 | 10,0 | 9,0 | 9,3 | 11,3 | 11,7 | 10,7 |
Standardabweichung: | 1,0 | 0,0 | 1,0 | 1,0 | 0,0 | 0,6 | 0,6 | 1,2 | 0,6 |
Das Ergebnis der 2., 5. und 6. Serie weist auf die weiter bestehende mangelnde
Präzision hin. Um natürliche Schwankungen zu charakterisieren,
sollten schon die Messwerte die erste Kommastelle nennen können. Die
Variabilität von Präzision und Richtigkeit ist erst mit mindestens
der zweiten Kommastelle erfasst, ansonsten sind die mehrfach identischen
Kennwerte in Stufen einsortiert und nicht kontinuierlich verteilt.
Handelt es sich in Tabelle 2 um Ergebnisse eines Ringversuches, so sind selbstverständlich die Rohdaten nur dem Veranstalter, nicht aber jedem Labor zur Verfügung. Aus Sicht des Labors Nr. 7, das die Methode sehr präzise beherrscht, sind bei einer statistischen Sicherheit von 99% gemessene Wiederholstandardabweichungen zwischen 0,09[arb.] und 2,94[arb.] nichts Besonderes. Der untere Wert analog DIN-Tabellen mit 4 Stellen korrekt mit 0,0904 [arb.] anzugeben, kann nicht kaufmännisch auf 0,1 [arb.] gerundet werden, um nicht weniger als 99% erwarteter Ergebnisse zu erfassen. Wenn überhaupt gerundet wird, wäre der Wert 0,0 [arb.] korrekt, um mindestens 99% der Präzisionskennwerte einzuschließen.
Wiederholmessungen ohne Präzisionsangabe sind also nicht
auszuschließen. Tritt dieser Fall ein, so kann keine Unsicherheit zur
aktuellen Serie berichtet werden. Die Methode erweist sich in der
Routineanwendung als für den Zweck nicht geeignet, mithin nicht
validierbar. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das der klassische Fall der
meist teueren Rückrufaktion.
Das oben ausgewählte Labor verfolgt in der Routine die Methode mit eigenen Standards und geht nach wiederholt besserem Abschneiden in Ringversuchen mit Recht von einer mit 0,6[arb.] etwas besseren internen Wiederholpräzision aus. Die Mittelwerte der 3fach-Bestimmung sind mit 99%iger Sicherheit im Bereich zwischen 9,6 [arb.] und 11,4 [arb.] zu erwarten. Mit nur einer, übrigens bereits nicht signifikanten Kommastelle angegeben, stehen den Mittelwerten dann 18 Kästchen zwischen beiden Grenzen zur Auswahl. Niemand wird erwarten, weiter verdichtete Kenndaten, die auf Basis einer kontinuierlichen Normalverteilung ermittelt wurden, könnten die Situation korrekt erfassen. Dazu fehlt eine wichtige Information, die in den „unsicheren” zusätzlichen Stellen zu finden war.
Trotzdem wird hier allenthalben die übliche Palette auch statistischer Berechnungen und Testverfahren unbesehen angewandt.
Als wenig pragmatisch erscheint der Ausweg, zu weiteren Rechnungen die
Normalverteilung zu modifizieren oder gar eine Binomialverteilung
heranzuziehen, um in der Praxis zutreffende Kennzahlen als Entscheidungshilfe
zu erhalten.
Für das Beispiel eines Mittelwertes von 10 [arb.] und einer Wiederholstandardabweichung von 1 [arb.] nennt Tabelle 3 die Anzahl notwendiger und empfohlener Stellen. Da für die Richtigkeit von Folgeberechnungen kontinuierliche Verteilungen meist vorausgesetzt sind, sollte über die Mindestangabe hinaus sogar noch eine weitere Stelle aufgenommen werden. Tiefstellen oder Unterstreichen kennzeichnet beide Stellen als unsicher und vermeidet das Missverständnis digitaler Exaktheit solcher Angaben. Die erwähnten Stellen tragen die Präzisionsinformation.
Mit geänderter Größenordnung der Werte verschiebt sich nur das Komma , die Anzahl der anzugebenden Stellen bleibt unverändert. Die gleichen Überlegungen treffen ebenso auf die vermeintlich digitale Exaktheit von Rechnungen in Computersystemen zu, obwohl Anwender dank der Anforderungen von IEEE-Standards an Software von dieser Problematik meist verschont bleiben.
Tabelle 3: notwendige und empfohlene Anzahl anzugebender Stellen für Kennwerte
Wiederholmessung | Kennwert | Anzahl Dezimalstellen | ||
Anzahl n | Mittelwert | Standardabweichung der Mittelwerte | notwendig | empfohlen |
1 | 10,0 _ | 1,0_ | 1 | 2 |
2 | 10,0_ | 0,7_ | 1 | 2 |
3 | 10,0_ | 0,6_ | 1 | 2 |
4 | 10,0_ | 0,5_ | 1 | 2 |
5 | 10,00_ | 0,45_ | 2 | 3 |
10 | 10,00_ | 0,32_ | 2 | 3 |
15 | 10,00_ | 0,26_ | 2 | 3 |
20 | 10,00_ | 0,22_ | 2 | 3 |
48 | 10,000_ | 0,144 _ | 3 | 4 |
Messwerte und Kennwerte unterliegen natürlichen Schwankungen. Um die Präzision rückverfolgbar und nutzbar zu dokumentieren, ist unverzichtbar, eine begrenzte Zahl „unsicherer Stellen” im Ergebnis als Träger dieser Information anzugeben, auch wenn diese Stellen nicht im eigentlichen Sinne signifikant, also gesichert sind. Wird vorschnell gekürzt, so geht auch die Präzisionsinformation verloren.
Die Gefahr, mit EDV-Unterstützung eine ungezügelte Zahl von Nachkommastellen in Prüfergebnissen anzugeben wird bislang wohl überschätzt. Mindestens ebenso gefährlich und in jedem Fall kostenintensiver ist das vorschnelle Zusammenstreichen „unsicherer” Stellen.
Wozu der mit Ressourcen an Zeit,- Gerät und Personal betriebene
Messaufwand, wenn die gewünschte Information zur Präzision
anschließend per Tastendruck unwiederbringlich, zusammen mit der
Investition in den Papierkorb wandert? Es kann nicht überraschen, wenn das
Warten auf den geplanten „Return on Investment” aus dem Papierkorb
länger dauert.
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